Unternehmergespräch in Metzingen über Zukunft des Strommarktes
Energieautarke Fabrik in greifbarer Nähe
Spannende zwei Vortragsstunden haben 20 Unternehmer erlebt, die sich am Donnerstag bei der Firma Krämer in Metzingen über Wege zur energieautarken Fabrik informiert haben. Fünf Referenten beleuchteten die Strompreisentwicklung, technische Lösungen und gaben Beispiele.
„Wenn das so geballt vorgetragen wird, überzeugt das total“, meint ein Unternehmer, der eigens aus Stuttgart angereist ist, nach zwei Stunden. Und ein anderer ergänzt: In den Medien stelle sich das ganz anders da. Aber tatsächlich sei die Thematik komplex. Mit den vielen Charts und Graphiken erinnert der Abend etliche Besucher an Physikunterricht oder ein Managementseminar. Doch als im Kontext von Photovoltaik in Deutschland von aktuellen Renditen von acht Prozent die Rede ist, herrscht konzentrierte Ruhe im Saal.
„Das Schlüsselwort heißt bedarfsgerechte PV-Anlage“, sagt Michael Aigner, der sich auf inhabergeführte Betriebe mit mindestens 60.000 Euro Jahresstromrechnung spezialisiert hat. Denn in Eigenverbrauchsquote und Grad der Autarkie vom öffentlichen Netz liege der Gewinn. Der Inhaber von Aton-Solar in Laichingen: „Wenn Sie die Hälfte ihres Strombedarfs selbst produzieren, haben sie für diese Hälfte schon mal Kostengarantie auf 20 und mehr Jahre.“
Die Kilowattstunde für den eigenen Strom sei mit zehn Cent schon aktuell fünf Cent günstiger als gekaufter Kraftwerksstrom und für den eingespeisten Teil gebe es bspw. immer noch 2000 Euro pro Jahr. Mit eigenen Messgeräten erfasst Aigner die Lastprofile potentieller Kunden, die er mit potentiellen Stromertragskurven abgleicht. Kundenziele sind dabei typischerweise möglichst hoher Eigenverbrauch oder möglichst hoher Autarkiegrad. Weitere Parameter in der Simulation sind Größe und Ausrichtung der Anlage, Investitionskosten und verschiedene Szenarien für die Strompreisentwicklung, von denen der Kunde ausgeht.
Entsprechend differenziert sehen die Lösungen aus, die Renditen von sechs, acht oder mehr Prozent ermöglichen. Und Aigner lüftet die Köpfe noch mehr für eine moderne Energiepolitik: „Wenn Sie 18 Cent je Kilowattstunde durch Eigenverbrauch sparen, haben Sie mehr, als wenn Sie zehn Cent für die Einspeisung vergütet bekommen.“ Er habe Kunden, die Anlagen betreiben, bei denen die Einspeisevergütung für die Investitionsentscheidung überhaupt keine Rolle mehr spielte.
Für Dr. Hartmut Richter passen die Beispiele ins Bild. „Nach Fukushima hat sich die Diskussion in Deutschland von einer Klima- zu einer Energiemarktdebatte gewandelt,“ sagt der Ex-Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Baden-Württemberg. Und, so der Kurator am Öko-Institut in Freiburg: Die Energiepolitik werde weiter zentral von Berlin und Brüssel gemacht, der Markt selbst aber habe sich von monopolistischen zu dezentralen und basisdemokratischen Strukturen gedreht.
Mehr noch: Das Energiethema habe sich von Strom auf Heizen, Biogas oder Speicher bis hin zur Mobilität geweitet. Das erweitere die Spielräume, erhöhe aber auch die technischen und juristischen Komplexitäten. Zudem schwankten die Tarife an der Leipziger Strombörse massiv und die individuell optimalsten Lösungen würden immer vielfältiger und variantenreicher.
Das bestätigte Marianne Hertle. Die Produktmanagerin für das Energiemanagementsystem emsyst 4.0. der Firma Riempp zitierte aus dem Ende 2014 verabschiedeten „Nationalen Aktionsplan Energieeffizienz“. Demnach will die Bundesregierung bis 2020 bundesweit 500 Energieeffizienznetzwerke fördern, die sich regional finden und moderieren sollen. Alternativen sind Energiemanager für bestehende Gewerbegebiete oder Branchenverbünde zu dem Thema. Schließlich komme eine Energieaudit-Pflicht für alle Betriebe nach ISO 50001 für die Industrie und nach DIN EN 16247 für Nicht-KMUs.
Friedrich Riempp stellte den Zuhörern seine Eigenentwicklung emsyst 4.0 vor, die analog Industrie 4.0 alle Verbrauchs- und Stromlieferquellen einer Firma erfasst und diese entlang der Produktionsprozesse kommuniziert. So hält sein System etwa Verbräuche innerhalb eines Lastkorridors, in dem es nicht produktionsrelevante Verbräuche abschaltet, wenn die Lastspitze in einen kritischen Bereich kommt. Wird eine „rote Linie“ überschritten, wird der Unternehmer akustisch aufgefordert, bspw. eine Maschine für Minuten abzuschalten oder den Pik zu dulden, der seinen Strompreis erhöht.
Wie das System in der Praxis wirkt, referierte der Metzinger Gastgeber Stefan Krämer, dessen gleichnamiger Metallbaubetrieb für Absturzsicherungssysteme damit seit einem Jahr arbeitet. „Wir erfassen damit sämtliche Energieverbräuche und können diese Stunden-, Spartenweise oder auftragsbezogen erfassen, um daraus Verbesserungsprozesse abzuleiten.“ Diese hat Krämer reichlich: So schaltet sich die Druckluftanlage täglich zur Vesperpause ab oder die Bürofenster kippen automatisch zu bestimmten Zeiten im Kontext zur Außentemperatur, was die Heizkosten enorm senkt und das Büropersonal befriedet, bei dem das Lüften zuvor strittig war. Sonntags läuft die Druckluftanlage 15 Minuten Probe, um Leckagen zu identifizieren, die zuvor 2000 Euro und mehr an Stromkosten pro Jahr verursachten.
„Bevor wir den Verbrauch effizient managen, minimieren wir erst mal den Bedarf“, erklärt Riempp das Vermeidungsprinzip, das hinter emsyst liegt: Räume werden nicht unnötig beheizt, weil Fenster offen stehen, oder beleuchtet, obwohl niemand da ist; Getränke im Automaten nicht während der Werksferien gekühlt oder Motoren nur so weit hochgefahren, wie es der Antrieb für die aktuelle Produktion erfordert. Diese Suffizienz kombiniert emsyst mit der Effizienz, die etwa erfasst, welche Energiequelle aktuell die günstigste ist oder Prozesse hochfährt, weil die PV-Anlage aktuell mehr Strom produziert als der Standardbetrieb braucht.
In der abschließenden Diskussion klärten die Teilnehmer etwa, dass Kunden ab 100.000 kwh Jahresverbrauch immer ein Lastprofil bei ihrem Lieferanten anfordern können; sich zu einem Großkunden zusammenschließen können oder ein grünes Image bei der Kunden- oder Mitarbeiterakquise zunehmend hilft. So ist auch Krämer mittlerweile bundesweit häufiger als Vorzeigebetrieb in den Medien. Am 24. April findet in Tübingen eine Folgeveranstaltung statt. Weitere sind in Laichingen, Oberboihingen und S-Vaihingen geplant.